"barfuss-fuer-menschen"
September 2007 |
Als ich mich zu Beginn des Jahres 2007 entschied, am 20. Internationalen Friedensmarathonlauf (am 9. September) in Moskau teilzunehmen, ahnte ich noch nicht, dass dieser Lauf der längste Lauf meines Lebens werden sollte. Fest stand aber, dass es mein 6. Barfuß-Marathonlauf sein würde, nach Düsseldorf, Berlin, Rom, Köln und Peking.Dieses mal wollte ich mich aber ganz alleine auf den Weg machen. Irgendwie war es mir während der Peking- Marathon- Gruppenreise doch nach einer kurzen Zeit schon etwas auf den „Senkel“ gegangen, mich der Heeresleitung des Organisators der Deutsch-Chinesischen Gesellschaft unterordnen zu müssen. Spontane Unternehmungen waren da nicht drin. Und das war für so eine wie mich nicht ganz einfach. Ein PS-starkes Auto mit angezogener Handbremse zu fahren ist zum einen nicht sehr effektiv und kann einen ja auch um eine gehörige Portion Spaß bringen. |
Und das mit mir!
Ich, die seit ihrem 16. Lebensjahr in den Ferien Europa via ,,tramping“ kennen gelernt hatte. Wo man morgens wirklich noch nicht wusste, in welchem Bett , in welcher Stadt man Abends schlafen würde.
Nun nach Peking stand also mein Entschluss fest, dieses Mal
alles alleine in die Hand zu nehmen.
Angemeldet hatte ich mich bei dem Marathon-Reiseveranstalter in Münster schon gleich zu Beginn des Jahres. Ich bekam aber erst
4 Wochen vor Reisebeginn die Info, dass wegen zu geringer Reise-Anmeldungen seitens des Reisebüros die Buchung „gecancelt“ sei. Nun wurde es aber Zeit, mich um ein Visum zu kümmern, worauf mich meine Tochter Diana aufmerksam machte.
Nach großem hin und her übernahm dann doch das Reisebüro
in Münster die Buchung für meine Marathonreise nach Moskau.
Spannend blieb es aber noch bis zum letzen Tag meiner Abreise.
Meinen Reisepass mit dem Visum erhielt ich dann einen Tag vor der Abreise, die Flugtickets jedoch erst um 11 Uhr morgens am Abreisetag, dem 9. September2007.
Der Flug sollte dann um 14 Uhr vom Düsseldorfer Flughafen losgehen. Meine Schwester Hannelore holte mich von meiner Praxis ab und fuhr mich zum Flughafen, wo dann auch meine Tochter Diana dazustieß. Was war ich dann erleichtert, als ich dann endlich im Flugzeug der russischen Airline „Airoflot“ saß.
Das war seit Peking im Oktober 2006 mein erster Urlaub. Dazwischen lagen ja nicht nur die ständigen neuen Hiobsbotschaften von unserer Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mit ihrem Vorhaben des „Einzelpraxis-Vernichtungsprogramms“,
sondern auch wieder mindestens 3 Monate mehr oder weniger
diszipliniertes Marathontraining,
Im Flugzeug stellte sich dann bei mir ein zufriedenes „das habe ich
jetzt erst mal geschafft – Gefühl“ ein.
Mit einer kindlich neugierigen Freude auf mich selber, fieberte ich jetzt dieser einwöchigen Solo-Abendteuerreise entgegen.
Da ich nicht der russischen Sprache mächtig bin, erschien
es mir deswegen praktischer, in Deutschland schon eine
Hotelreservierung vorzunehmen. Dass ein 3- Sternehotel in Moskau nicht direkt unserem Standard entsprechen muss, hatte ich nicht so genau bedacht.
Ich landete dann bei Dunkelheit auf dem Moskauer Flughafen.
Oh Gott, ich kam mir schon sehr hilflos und verlassen vor, als ich dann von mehreren Seiten fast genötigt wurde, unbedingt bei dem jeweiligen Taxifahrer einzusteigen. Englisch-sprechende Jungs verschafften den nur russisch-sprechenden Taxifahrern ihre Kunden gegen einer Provision. 50 Euro sollte die Fahrt zu meinem Hotel kosten. Ein Bus fuhr angeblich nicht mehr in die Stadt.
Nachdem ich dann in einem russischen Taxi Platz genommen hatte,
der Preis von 50 Euro feststand, sollte ich mich plötzlich
noch an der Provision des Zuarbeiters beteiligen. Ich stieg wieder aus, es war mir alles sehr unheimlich. 10 Minuten später saß ich nun doch wieder beim selben Taxifahrer im Auto, nach erneuten
Preisverhandlungen.
Die Straße war kaum beleuchtet. Die alten Stoßdämpfer des Autos konnten den vielen Schlaglöchern nicht wirklich etwas entgegensetzen. Ich sah nur in eine gespenstige Dunkelheit hinein. Es waren kaum Autos unterwegs.
Dann rief meine Tochter mich an. ,,Diana!“ rief ich ganz aufgeregt ins Telefon herein: ,,Bleib bitte am Telefon! Ich habe große Angst, bleib bitte dran!“. Ihre Stimme beruhigte mich unheimlich. Das Wort „Angst“ kannte meine Tochter gar nicht aus meinem Munde. Nun war es aber soweit. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich vor irgendetwas Angst. Oh Gott! In welche Situation hatte ich mich da selber gebracht. Bald waren dann doch die ersten großen Gebäude zu erkennen. Das muss doch Moskau sein!
Der Taxifahrer hatte zwischendurch versucht, mit mir in russischer Sprache mich in ein Gespräch zu verwickeln. Er wiederholte einige Mal den Namen „Sascha“. Ich wusste nicht was er meinte. Der Sohn meiner ältesten Schwester heißt Sascha. Was meinte er denn bloß? Er solle mich in Ruhe lassen, erwiderte ich immer wieder in aufgebrachter Tonlage in meiner Sprache.
Die Straße meines Hotels mit der entsprechenden Hausnummer war dann auch ziemlich schwer zu finden. Irgendwie befanden wir uns in einer Art Industriegebiet.
Als wir dann endlich die Hausnummer gefunden hatten, gab ich dem Taxifahrer die 50 Euro und nahm mein unhandliches Gepäck
an mich. Ich war doch etwas erstaunt, als er mir das Gepäck wieder abnahm und mich zum Empfang zu begleitete.
So unsympathisch sah er ja eigentlich gar nicht aus, als er so im Licht stand. Das sollte hier aber doch noch nicht das Ende unseres
Kennenlernens sein. Der nach Alkohol riechende Empfangschef verwies uns beide dann ins Nebenhaus. Wir zogen also beide ,mit dem Gepäck bei uns, in völliger Dunkelheit an einem kasernenähnlichen Schlagbaum vorbei ins Nebenhaus.
An dieser Rezeption sollte ich dann sofort meinen
Reisepass mit dem Visum abgeben.
Ich übergab ihn mit einem mulmigen Gefühl im Bauch und mir kamen große Zweifel, ob das hier meine Bleibe während meines Moskauer Marathons sein sollte. Dann stand nach wenigen Augenblicken für mich fest, hier wollte ich nicht bleiben.
Der Taxifahrer verstand, dass ich in ein anderes Hotel gefahren werden wollte.
Fast hätte ich noch meinen Reisepass vergessen in dieser angespannten Situation. Erst an der Haustür fiel es mir dann ein.
In einem ehemaligen kommunistischen Land ohne Papiere unterwegs zu sein ,wollte ich nicht gerade auf dieser Reise ausprobieren.
Auf dem Weg zum Moskauer Zentrum, erklärte mir nun mein Taxifahrer, dass er Sascha heiße, und dass er in Berlin russischer Soldat gewesen sei. Ich entschied mich dann in einem der „Holiday-Inns“ im Zentrum Moskaus abzusteigen, wohlwissend, dass ich ja bereits in Deutschland für die Hotelbuchungen im vorraus bezahlt hatte. Schließlich wollte ich ja in 2 Tagen mal eben so einen Marathon laufen. Neben meiner eigenen Sicherheit, erschien mir doch jetzt auch ein gewisser Komfort wichtig zu sein. Am darauf folgenden Tag machte ich mich auf dem Weg meine Startnummer für den Marathonlauf abzuholen. Blöd war nur, dass es sich nur um eine postalische Adresse handelte, die auf unseren Reiseunterlagen vermerkt war, wie ich nach einem langen Fußmarsch dorthin dann feststellen musste. In Wirklichkeit sollte die Aushändigung der Startnummern im Olympiastadion stattfinden, und das war etwa 10 km von meinem derzeitigen Standort entfernt. Später erfuhr ich dann von Läufern aus Südafrika, dass auch sie an der postalischen Adresse vergebens gelandet waren. Als Sportler steckt man ja so was gelassen weg, dachte ich dann so bei mir. Wie gut das es ein Handy gibt! Obwohl mein Akku sich immer mehr dem Ende näherte. Mit Unterstützung einer russischen Passantin, die englisch sprechen konnte, konnte ich dann einen „Marathon-Bescheidwisser“ vor diesem Haus um Rat fragen . Er begleitete mich dann zur Hauptstraße, hielt ein Auto an, verhandelte kurz mit dem Fahrer und sagte zu mir, dass es 2000 Yen kosten würde, das sind soviel wie 6 Euro. „Achso“ dachte ich mir; „man hält einfach ein Auto in Moskau an, um sich fortzubewegen.“ Klasse! Das erinnerte mich ja an meine Tramperfahrung aus meiner Jugendzeit. Das kam mir sehr entgegen. Wie sollte ich mich auch ohne russisch sprechen zu können, alleine in der Stadt mit Bus und U-Bahn zurechtfinden?! Bei der Startnummernausgabe lernte ich dann die 4 weißen Läufer aus Süd-Afrika kennen. Nun konnte ich mich ja etwas auf englisch unterhalten. Da ich ja alleine unterwegs war, vereinbarte ich mit Alan, einem der Läufer , uns am Sonntag nach dem Marathonlauf zu treffen, um gemeinsam einen bis zum Schluss durchgehaltenen Marathon zu feiern. Bei der anschließend stattfindenden obligatorischen „Pasta-Party“ erfuhr ich dann, dass Alan Ingenieur in Durban ist und ein anderer Läufer als Augenarzt dort tätig ist. Globalisierung auch unter den Marathonläufern. |
Am Sonntag haben wir uns dann im Zelt vor dem Startpunkt wiedergetroffen. Es regnete in Strömen. Mein Gott, was sollte das heute noch werden. Es war so ein typisch deutscher ,nasskalter, schmuddeliger Novembertag, und dies Anfang September in Moskau. Beim Pasta-Essen, einen Tag zuvor, hatte ich Alan erzählt, dass ich für meine Aktion “barfuss für Menschen“ den Moskauer Marathon barfuss laufen würde. Nun stand ich in meinem schon zu meinem Markenzeichen gewordenen goldenen Anzug barfuss vor den 4 Jungs. In einem goldenen Anzug mit goldener Kuppe war ich ja bereits in Düsseldorf, Berlin, Rom, Köln und Peking einen Marathon barfuss gelaufen. Neu war heute jedoch für mich, dass ich mir einen Photoapparat an den linken Fuß geschnallt hatte. Bei einem meiner letzten Trainingsläufe in Düsseldorf hatte es mit der selbst entworfenen Konstruktion ja irgendwie geklappt. Die Kamera war so eingestellt, dass sie jede Minute ein Foto machte. 4 Wochen hatte es bestimmt gebraucht, bis ich den richtigen Fotoapparat für diese Aktion gefunden hatte, und mit einer meiner Arzthelferinnen die „Fotoapparat- Beinkonstruktion“ entwickelt hatte. Um 11 Uhr morgens, am Sonntag den 9. September 2007, ging ich dann bei strömenden Regen in einem goldenen Anzug, barfuss mit einem Fotoapparat am Fuß an den Start des 20. Internationalen Moskauer Friedensmarathonlaufes. Nach meiner Einsschätzung standen am Start nicht mehr als 500 Läufer. „Das ist ja eine überschaubare kleine Marathonfamilie“ ging mir so durch den Kopf. Na ja, es müssen ja auch nicht immer 30.000 Läufer sein, wie dies beim Berlin-Marathonlauf der Fall ist. Die 4 Süd-Afrikaner blieben dann eine ganze Zeit lang hinter mir. Ich war also wieder zu schnell am Anfang unterwegs. Alan hatte mir beim Pasta essen erzählt, dass sie etwa so 6 Stunden brauchen werden ,um ins Ziel zu kommen. Nachdem ich ja bei meinem ersten Barfuss-Marathonlauf in Düsseldorf 4 Stunden und 40 Minuten gelaufen war, dachte ich, dass ich mit ihnen wohl locker mitkommen würde. Die Moskauer Marathonstrecke sollte uns nicht mitten durch die 11 Millionen Stadt führen, sondern am Fluss, der Moskau entlang Es gibt etwa 10 große Städte in Russland, die über 1 Millionen Einwohner haben. Moskau ist nicht nur die Hauptstadt Russlands, sondern auch die Stadt mit den meisten Einwohnern - nach St. Petersburg, Nowosibirsk und Gorki . Die russische Förderation ist flächenmäßig der größte Staat der Erde. Russland ist als Nachfolger der Sowjetunion mit seinem großen Reichtum an natürlichen Ressourcen und Bodenschätzen, z. B. mit dem reichen Ölvorkommen, für uns ein ganz bedeutender Partner geworden. Es hat trotz dieser großen Fläche nur 104 Millionen Einwohner (Deutschland 80 Mio). Nun lief ich also am Moskau-Fluss entlang, der mit seinen 128 km Länge ein kleiner Fluss gegenüber der Wolga ist, der mit seinen über 3000 Kilometern Länge als der größte Fluss Europas zu erwähnen ist. Eigentlich handelt es sich ja bei dem Moskau-Fluss um einen Kanal. Dieser Moskau-Wolga-Kanal verbindet die Stadt Moskau in nördlicher Richtung mit der Wolga. |
Start und Ziel des Moskauer Marathons sollten nun unterhalb des weltberühmten Roten Platzes mit dem Kreml, des Kaufhauses Gum und der Basilius Kathedrale sein. Es benötigte nur wenige 100 Meter um zum nur 40 Meter tiefer liegenden Ufer des Moskau-Flusses zu gelangen. Mit dem Bau des Kremls, dem Kern von Moskau, begann die Geschichte der Stadt. Eine Festungsmauer von über 2000 Metern macht das Gebäude sehr geheimnisvoll. Nicht zu vergessen ist ja auch das Lenin Mausoleum, indem Lenins Körper, nachdem er 1924 starb, einbalsamiert wurde und seither hier verwahrt wird. Viele Besucher hat dieses Mausoleum seitdem angezogen. Nun passierten wir die 7 sehr berühmten barocken Türme der Basilius Kirche. Iwan der Schreckliche hatte diese Kirche im Jahre 1553 in Auftrag gegeben. In vielen Reiseführern erscheinen diese bunten Zwiebeltürme der Basilius Kirche als Wahrzeichen der Stadt. „Aha!“ so fühlt es sich also an, in Moskau einen Marathon zu laufen. Der Fotoapparat saß vom ersten Augenblick an nicht richtig am Fuß. Ich konzentrierte mich auf die historischen russischen herrschaftlichen Gebäude zunächst in dieser Zeit . Die russische Geschichte ist schon sehr brutal. Viele der Herrscher, nicht mehr gebraucht, mussten viele Jahre im Exil in Sibirien verharren,selbst Präsident Gorbatschow hatte für eine kurze Zeit, so was wie ein Zwangsurlaub nach der Wiedervereinigung dort verbringen müssen, um die politische Macht im Kreml neu zu besetzen. Ich wollte es ja so! Die Entscheidung hier zu laufen ,hatte ich selber getroffen. Verrückt war die Entscheidung ja schon. Jetzt musste ich es ja auch tun. „Wie werde ich damit fertig, was für eine Compliance habe ich in mir?“ Diese Fragen stelle ich mir in solchen Augenblicken. Nun war mir bald klar, dass die weitere Marathonstrecke am „Moskau-Fluß entlangging. Es regnete und regnete und es war kalt. Es stellte sich heraus, dass die Läufer eine Strecke von ca 6 km wiederholt passieren mussten. Dies fand ich ganz gut, da wir uns Läufer immer wieder begegneten, so begegnete ich auch meine Läufer aus Südafrika einige male wieder. Die Umgebung wirkte trotz des starken Regens als stark energetische Kraftquelle auf mich. Das weltberühmte Bolschoi- Theater musste auch irgendwo in der Nähe sein. Die monomentalen Gebäude im klassizistischen und barocken Stil an der einen Straßenseite, die großen Schiffe mit ihrem eintönigen Motorengeräusch auf der anderen Seite, und die sich fortbewegenden Läufergrüppchen auf der Straße am Ufer neben mir. Ich lief und lief und lief. Bis zum Kilometer 20 war eigentlich alles irgendwie noch im grünen Bereich. Wenn ich an den Fotoapparat dachte, spürte ich jedoch schon starke Schmerzen. „Jetzt ist es passiert!“ dachte ich plötzlich „meine linke Archillessehne ist gerissen!“ Schmerzen in der Archillessehne hatte ich ja auch eine Woche vor meinem ersten Barfuss-Marathon-Lauf in Düsseldorf gehabt, so dass ich in der letzte Woche auf Anraten meines Sportarztes gar nicht mehr trainieren durfte. Nun war es aber irgendwie doch noch etwas anders. Für die nächsten Augenblicke konnte ich meinen Fuß bzw. meinen linken Unterschenkel gar nicht mehr bewegen. Mir war nicht so ganz klar, ob es die Archillessehne war oder ein Muskelfaserriss im Wadenbein. Eine Betreuerin lief auf mich zu, als sie mich so schmerzverzehrt auf der Straße stehen sah. Nein! Das konnte es doch nicht gewesen sein. Schließlich wollte mich die Firma Sanofi –Pasteur, ein internationaler Pharmakonzern für die Aktion „barfuss für menschen“ beim Moskau –Marathon mit 10.000 Euro unterstützen. Diesmal sollte das Geld der Gorbatschow Stiftung zu Gute kommen, um ein leukämiekrankes Kind in der Raisha Gorbatschow Klinik in Petersburg zu unterstützen. Schließlich war ich ja 3 Wochen vorher Präsident Gorbatschow persönlich aus diesem Anlaß bei seiner Deutschlandreise vorgestellt worden. Ein gemeinsames Foto für die Ewigkeit und ein Autogramm in meinem „Goldenen Buch“, in dem auch schon der große Beckenbauer unterschrieben hatte,sind mir ja von dieser einzigartigen Begegnung geblieben. Welch einer ungewöhnlichen Persönlichkeit durfte ich damals gegenüberstehen,einem Menschen ,der sich vom einfachen Bauernsohn zum Staatspräsidenten eines der größten Länder der Welt hochgearbeitet hatte, und fast wie kein anderer Politiker die Geschicke des deutschen Volkes durch die Wiedervereinigung 1989 beeinflusst hatte. Diesem bedeutenden Menschen war ich also begegnet,einem Menschen, der Weltgeschichte geschrieben hatte. |
Mein Versprechen gegenüber Präsident Gorbatschow, seine Stiftung zu unterstützen, wollte ich auf keinen Fall brechen. Ich musste ins Ziel kommen, egal wie! Mein Entschluss stand fest; ich werde weiterlaufen bzw. gehen bis zum Ziel! Meine Schritte wurden von nun an immer langsamer . Ich war in meinem goldenen Anzug durchnässt bis auf die Haut bzw. nass bis auf die Knochen ,wie eine deutsche Redewendung ja sagt. Ich begann zu zittern. Bis zu meinem heutigen Tage konnte ich mir, obwohl ich Ärztin bin, eigentlich einen Schüttelfrost nicht wirklich vorstellen, geschweige denn nachempfinden. Nun hatte ich ab Kilometer 20, und noch über die Hälfte des Laufesvor mir Zeit, dieses Phänomen an meinem eigenen Körper kennenzulernen. Ganz automatisch fängt man dann mit den Zähnen an zu klappern. Irgendwie entsteht ja dabei Wärme, so war zumindest mein Empfinden. Obwohl die Versorgung mit Getränken am Straßenrand ausreichend gewährleistet war, war es mir irgendwie unmöglich, die vorgeschriebene Menge an Wasser zu mir zu nehmen wegen der ungemütlichen Kälte. So ab Kilometer 32 war mir dann irgendwie klar, dass ich wohl als letzte Marathonläuferin unterwegs war. Nun konnte ich dieses Gefühl auch mal zum ersten Mal kennenlernen. Der Düsseldorfer Marathonveranstalter hatte mir ja beim ersten Barfuss-Marathonlauf prophezeit, dass ich als Marathonläuferin ohne Schuhe mit Sicherheit die Letzte seien würde, und dann vom Besenwagen abgefangen würde. Als Letzte barfuss ins Ziel zu laufen sollte ich also erst bei meinem 6. Barfuss-Marthonlauf kennenlernen. Na bitte! Ab dieser Zeit fuhr eigentlich mir auf dem Fuße folgend, ein russischer Ambulanzwagen hinterher. Ich wurde aufgefordert, doch nun in den Ambulanzwagen einzusteigen, was ich natürlich verneinte. Mein Gott! Jetzt wurde ich aber auf die Probe gestellt für die nächsten Minuten. Der Ambulanzwagen hatte seine Fahrt zu der Zeit irgendwie unterbrochen. Die Straße schien endlos lang zu sein.Die letzten zwei Läufer kamen mir auf der Gegenseite entgegen, und ich erkundigte mich, wieviele Kilometer es noch zum Wendepunkt seien. Irgendwie hatte ich sowas wie 1 Kilometer verstanden. Es waren nunmehr weder Zuschauer am Straßenrand zu sehen, noch irgendwelche Kontrollposten. Ich gebe zu, dass ich in diesen Augenblicken schon für einige Sekunden gedacht habe, diese Strecke abzukürzen und „ es merkt jetzt sowieso keiner, wenn du diesen Wendepunkt jetzt schon einschlägst.“ Die Straße wollte und wollte nicht aufhören. Mein Laufen war eigentlich nur noch ein Gehen, ich fror, meine Zähne klapperten die Halterung des Fotoapparates schmerzte. Ich konnte nicht mehr! Meine Kräfte waren nahezu verbraucht. Was tat ich hier?! Ich wurde ein wenig wankelmütig. Nach endloser Zeit passiere ich den Wendepunkt, da stand nun doch noch ein Streckenposten. Nun reichte mir jemand warmen Tee. Ich nahm meinen letzten Energieriegel zu mir und setzte meinen Weg fort und nun den Ambulanzwagen wieder dicht hinter mir. Und wieder die Aufforderung, ich solle in den Ambulanzwagen einsteigen. Nachdem ich nun 6 Stunden unterwegs war, hörte es endlich auf zu regnen. Einen Unterschied machte es in meiner körperlichen Wahrnehmung allerdings nicht. Mein eigenes Zähneklappern vermittelte mir ein beruhigendes Gefühl, dass ich trotz allem noch irgendwie unter den Lebenden weilte. |
Nun riss mich plötzlich jemand an meinem linken Arm. Als ich in das Gesicht des ein Meter 60 großen Mannes schaute, erkannte ich den „Boss“ der Marathonveranstaltung, der auch bei der Pasta- Fete war, und im Beisein von einer Fernsehkamera den Internationalen Moskauer -Marathon offiziell für eröffnet erklärt hatte. Irgendwie saß ich bei der Pasta-Fete mit meinem Stuhl ihm im Wege, und er forderte mich auf, den Stuhl zur Seite zu stellen. Nun, dieser kleine Mann riss plötzlich an meinem Arm. Er sprach englisch mit einem derben russischen Akzent. Der Marathonlauf sei jetzt zu Ende, die 6 Stunden seien jetzt vorbei. Das Ziel sei abgebaut. Jetzt sei Schluss! So kurz vor dem Ziel wollte ich jetzt aber nicht aufgeben. Es waren vielleicht noch so 4 bis 5 Kilometer. Es war nicht mehr so wichtig, dass ich durch ein Zielbogen laufen würde dachte ich mir, aber es war wichtig, die Zielstrecke durchzulaufen. Ab diesem Zeitpunkt wechselte ich auf den Bürgersteig. Sagte mehrmals nein und lief weiter. „Gleich hast du dieses russische Gewehr einer Kalaschnikow im Rücken“ ging mir dann durch den Kopf. Oh weh! Wenn meine Tochter bei mir gewesen wäre, sie hätte mich in diesem Augenblicke innbrüstig angefleht, doch aus Sicherheitsgründen aufzuhören, was ich aus Liebe zu ihr dann sicher auch getan hätte. Bei meinem 3. Barfuss-Maratholauf in Rom war sie es aber, die mich auf den letzen Kilometern vor dem Kolloseum mit Apfelschorle, Energieriegel und ganz viel mutmachenden aufbauenden Worten ins Ziel schweben ließ. Nicht so selten kann man ja heute immer mal wieder aus der Presse entnehmen, wie die russische Regierung mit den nicht gefolgstreuen Untergebenen umgeht. Ab nun lief ich auf dem Bürgersteig weiter. Was war das denn!? Plötzlich tauchte dieser kleine Mann wieder neben mir auf. Den Passanten auf dem Bürgersteig befahl er ,zur Seite zu weichen, und bahnte mir so meinen Weg. Nun fuhr auch der Ambulanzwagen wieder neben mir her. Wenn ich Kreuzungen überqueren musste auf dem Weg ins Ziel, stellte der Ambulanzwagen seine Sirene an. Die anderen Autos hielten an und ich lief im Schneckentempo mit dem kleinen Mann vor mir über die Kreuzung. „Geil!“ dachte ich mir. Mein Durchhalten hatte sich also gelohnt. Ich erreichte doch noch das Ziel. Es war nicht zu glauben. Der Zielbogen war noch nicht abgebaut. Sie hatten nur auf mich gewartet. Es waren 6 Stunden und 30 Minuten vergangen. Ich habe dann sogar noch meine Medaille erhalten und eine Urkunde. Ich war selber fassungslos und einfach nur glücklich. Schnell begleitete mich ein Betreuer ins gegenüberliegende Zelt. LKW-Fahrer wollten gerade die letzten Zelte abbauen und die zurückgeblieben Sportsachen abtransportieren. Nun konnte ich auch noch in meinen rosa Trainingsanzug „umsteigen“, der schon so was wie mein Maskottchen bei meinen Barfuss-Marathonläufen geworden war .Man kann sich nie so ganz sicher sein, dass man seine morgens vor dem Start abgelegten Sportsachen wirklich nach dem Marathonlauf auch wieder findet. Ich war so glücklich. In die Turnschuhe passte ich nur noch halb rein mit meinen nassen Füßen. Alles war also noch gut geworden! Eine spannende Marathon-Reise für mich mit einigen Grenzerfahrungen gegenüber meiner physischen und mentalen Leistungsstärke Danke lieber Gott dafür! Ob ich hierbei der russischen Seele begegnet bin, das weiß ich nicht so recht. Ich glaube, das sollte mir in St. Petersburg widerfahren, oder war ich ihr schon in Deutschland begegnet?! Die Südafrikanischen Läufer habe ich dann in Moskau doch nicht wiedergetroffen. Alan hat mir gerade vor einigen Tagen aus Durban eine E-mail geschickt mit einigen Fotos vom Lauf.. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Um Moskau etwas kennenzulernen, hatte ich dann noch 4 Tage Zeit. Wie schon erwähnt, immer trampener Weise . Unbedingt wollte ich nun noch eine russische Klinik besuchen. Wie man so hört, soll die medizinische Versorgung in Russland für die Allgemeinbevölkerung ja nicht so besonders sein. Nun ergab sich die Möglichkeit des Besuches in dem „European –Medical- Center“ im Zentrum von Moskau. Ich besuchte die HNO-Abteilung. Privatärzte hatten sich zu einer Klinik zusammengeschlossen und behandeln hier barzahlende reiche Russen. Für die meisten der Russen besteht kein Krankenversicherungsschutz. Ob das Herr Putin wohl weiss?! Ich tauschte mit meinem HNO-Kollegen die Visitenkarten aus, und lud ihn ein, mich mal in Düsseldorf besuchen zu kommen. Dann ging es weiter nach St. Petersburg. Hier wollte ich auf jeden Fall die Raisha Gorbatschow Klinik kennenlernen. Die Eröffnung dieser Klinik für leukämiekranke Kinder fand einer Woche später stand. Zu erwähnen sei, dass Raisha Gorbatschow bereits 10 Jahre zuvor, während der Präsidentenschaft ihres Mannes die ersten Bemühungen startete, diese Klinik ins Leben zu rufen. Als besonders tragisch empfinde ich es, dass sie selber dann 1999 an Leukämie erkrankt ist und innerhalb von 3 Monaten ihrer Krankheit erlag. Ich wollte nun wissen, wo das Geld, welches der Pharmakonzern Sanofi-Pasteur der Aktion „barfuss für menschen“ für die Gorbatschow Stiftung zur Verfügung gestellt hat, seine sinnvolle Verwendung finden würde. |
Das konnte man nicht erwarten. Die Klinik war ganz neu gebaut worden und mit den modernsten Gerätschaften für leukämiekranke Kinder ausgestattet. Es gab gemütliche Zimmer für die Eltern dieser kranken Kinder. Eine englisch sprechende Sozialarbeiterin führte mich durch diese neue Klinik. Wie stolz muss wohl Präsident Gorbatschow sein, dass das Lebenswerk seiner Frau nun vollendet wurde. In diesen Räumen spürte ich wieder die russische Seele,der ich ich ja erstmals bei der Begegnung mit Präsident Gorbatschow in Deutschland begegnet war. Meine Reise nach Russland hatte sich trotz dieser großen Strapazen gelohnt. Ich war einfach nur glücklich in diesen Augenblicken. Bei meiner Stadtrundfahrt durch St. Petersburg, das nur 700 km vom Polarkreis entfernt liegt ,durchströmte mich ein ähnliches Gefühl wie in Venedig. Peter der Große hatte den italienischen Städtebauer Trezzini um 1700 nach Petersburg geholt. Dieses italienische Gefühl hatten Andere vor mir wohl genauso so empfunden. Mit seinem barock-klasszistischen Zentren gehört das „Venedig des Nordens“ - wie St. Petersburg häufig genannt wird, zu den schönsten Städten Europas. Eine neue Hauptstadt, nach westlichem Vorbild hatte Peter der Große sich mit dieser Stadt geschaffen. Diese Stadt ist in Aufbruchstimmung, sehr lebendig, eine große offene Metropole. mit westlichem Flair. Mehr als 5 Millionen Menschen leben hier. Die Stadt ist wie Venedig von unzähligen Kanälen durchzogen, von denen man wunderbar eine Stadtrundfahrt starten kann. Welch ein Reichtum in dieser Stadt. Nicht zu vergessen zu erwähnen sind die berühmten Söhne dieser Stadt wie Dostojewski (Die Brüder Karamasow, Schuld und Sühne), 1821 geboren ,Tschaikowski (Der Nussknacker). Und auch Katharina die Große (1729- 1796) gehörte zu den umstrittensten Persönlichkeiten dieser Stadt. Viele Denkmäler, Plätze und Kulturstätten sind nach Alesander Puschkin (1799-1837) benannt. Man sagt über ihn, dass er der Schöpfer der russischen Literatursprache sei. Auch Lenin, der wie niemand sonst durch die Schaffung Sowjetrusslands die Weichen für die Weltpolitik setzte, drückte dieser Stadt seinen Stempel auf. Großes Glück hatte ich auch am letzten Tag noch in St. Petersburg, als ich mit einem 500 Euro Schein das Ticket für die Stadtrundfahrt kaufen wollte. , und ich in dem Glauben war, 500 russische Rubel in den Händen zu halten..Ein russicher Offizier bewahrte mich dann vor dieser Dummheit. War das wieder die Begegnung mit der russischen Seele?! Wohlbehalten erreichte ich nach 1 Woche mein Zuhause. Trotz durchgestandener größter Strapazen wird es für mich eine unvergessene Reise bleiben. Ein Marathonlauf ist wahrscheinlich wie eine Pilgerreise oder Expeditionreise.Weg und Ziel bleiben ungewiss. Meine Füße und der Fotoapparat haben dieses Abenteuer mehr oder weniger wohlbehalten überstanden und ich hatte mal wieder die Möglichkeit, mit mir allein ein wenig Zeit zu verbringen , vielleicht , um einer wahrhaftigen ,waschechten,nachhaltigen deutschen Seele zu begegnen? Körper, Geist und Seele sind seitdem wieder harmonisch vereint. Eine Reihe von Photos aus der Froschperpektive kann man nun zu einer Photoausstellung freigeben, Der feste Glaube, etwas schaffen zu wollen, kann Berge versetzen. |